Mit Schienenfahrzeugen ereignen sich häufig sehr schwere Verkehrsunfälle. Das hohe Schadenausmaß ist vor allem auf die, im Vergleich zu Pkw, sehr viel höheren Massen der Schienenfahrzeuge und durch die mangelnde Kompatibilität der Fahrzeugstrukturen zu erklären.
Bei Unfällen unter Beteiligung von Schienenfahrzeugen handelt es sich oft um Kollisionen eines Schienenfahrzeuges mit einem den Schienenstrang kreuzenden Straßenfahrzeug. Die Unfalltypen sind sehr vielfältig. Neben der eigentlichen Unfallanalyse sind hierbei oft auch Untersuchungen der technischen Einrichtung der Fahrzeuge sinnvoll und notwendig.
Die Fahrlinie der Straßenbahn / des Schienenfahrzeuges ist in der Regel für die Rekonstruktion des Unfallgeschehens nicht das Problem. Oftmals steckt viel Aufwand darin, das Fahrverhalten des Kollisionspartners des Schienenfahrzeuges zu erarbeiten, da andere Verkehrsteilnehmer oft die Gefahr die von einem Kreuzen der Gleisanlage ausgeht, unterschätzen. Das Bremsvermögen von Schienenfahrzeugen ist beispielsweise deutlich schlechter, als das eines Lkw oder Pkw. Bahnfahrer fahren daher nicht auf Sicht, sondern anhand der Signale an der Gleisstrecke.
Sicht und Reaktionsmöglichkeit von Schienenfahrzeugführern
Gelegentlich kommt es zu Unfällen, bei denen es durch das Abbiegen von Lkw in der Nähe eines Gleisbetts zur Kollision mit dem Schienenfahrzeug kommt, da das Heck des Lkw beim Abbiegen ausschwenkt, oder der Lkw-Fahrer zuvor rangiert hat. Ist das Gleisbett vor der Unfallstelle über eine weite Strecke geradlinig, stellt sich auch die Frage zur Unfallvermeidbarkeit für den Schienenfahrzeug-Führer.
Bei Schienenfahrzeugen ist zu berücksichtigen, dass sie trotz Gefahrenbremsung nicht das gleiche Verzögerungsvermögen aufbringen können wie ein Straßenfahrzeug. Im normalen Straßenverkehr können Verzögerungen von bis im Mittel 9 m/s² bei einer Gefahrenbremsung erreicht werden. Für Schienenfahrzeuge können bei einer Gefahrenbremsung nur Verzögerungen von etwa 2 m/s² erreicht werden. Der Anhalteweg ist daher etwa 4-5 mal so groß wie im normalen Straßenverkehr bei gleicher Geschwindigkeit. Für die Straßenbahn-Führer ist daher zusätzlich zu berücksichtigen, ab wann man erkennen konnte, dass das Heck eines Lkw in die eigene Fahrspur hineinragt. Dieser Sichteindruck ist dann mit der tatsächlichen Reaktion zu verknüpfen und auf Plausibilität zu prüfen.
Fahrzeugkollisionen auf beschrankten Bahnübergängen
Durch die Beschrankung eines Bahnübergangs und entsprechende Signallichter soll gewährleistet werden, dass sich bei der Annäherung des Schienenfahrzeugs keine Fahrzeuge mehr auf dem Bahnübergang befinden. Kommt es dennoch zur Kollision zwischen Schienenfahrzeugen und anderem Verkehr im Bereich des beschrankten Bahnübergangs, gilt es zu klären, ob ein Fehler in der Schaltung auf Seiten des Schienenbetreibers vorgelegen hat, oder ob Fahrzeugführer auf Seiten des normalen Straßenverkehrs bei Rot in den Bahnübergang einfuhren.
Hierbei ergeben sich für die Unfallrekonstruktion teilweise ungewöhnliche Weg-Zeit-Zusammenhänge, bei denen sich der Unfall bereits 30s vor dem späteren Zusammenstoß der Fahrzeuge entwickelte.
Druck- und Sogwirkung einer durchfahrenden Regionalbahn
Gelegentlich kommt es zu Unfällen, bei denen Fußgänger von Zügen erfasst werden, die einen Bahnsteig mit hoher Geschwindigkeit passieren, ohne dort anzuhalten. Die Verletzungswahrscheinlichkeit der Fußgänger ist aufgrund der hohen Geschwindigkeiten der Schienenfahrzeuge und der starren Bauform enorm hoch.
Um solche Unfälle zu vermeiden, sind in der Regel Markierungen am Bahnsteig parallel zur Bahnsteigkante angebracht, um den einzuhaltenden Sicherheitsabstand zum einfahrenden Zug anzuzeigen. Hierbei soll nicht nur der Frontalanprall des Zug an Passanten vermieden, sondern auch die Sogwirkung des einfahrenden Zugs mit berücksichtigt werden. Die Höhe der Sogwirkung einer Regionalbahn und die dabei induzierte Bewegung eines Passanten am Bahnsteig wurden im Zuge einer Gutachtenausarbeitung bereits messtechnisch untersucht.
Bei einer Einfahrgeschwindigkeit des Zugs von 120 km/h kommt es zu einer sogbedingten Geschwindigkeit von etwa 0,5 km/h, die über eine Zeitdauer von 0,2 s aufgebaut wird. Danach endet die Sogwirkung, obwohl der Zug mit unverminderter Geschwindigkeit am Bahnsteig entlang fährt. Im konkreten Fall erfolgte der Anstoß des Fußgängers in einer Entfernung von etwa 24 m hinter der Fahrzeugfront. Berücksichtigt man die Sogwirkung des Zugs und die Einfahrgeschwindigkeit, so erfolgte eine soginduzierte Bewegung Richtung Zug von nur 10 cm zwischen Sogbeginn und Anprall an den Zug.
Dr. rer. nat. Tim Hoger
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Ing. Robert Dietrich
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Wolfgang Pissarsky
Dr. rer. nat. Jens Bastek
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dr. rer. nat. Ingo Holtkötter
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Phys. Annika Kortmann
ö.b.u.v. Sachverständige der IHK Nord Westfalen