Durch eine Vielzahl von innovativen Veränderungen im Bereich der Lichttechnik wurden die Scheinwerfersysteme im Fahrzeugbau stetig weiterentwickelt. Neben den gebräuchlichen H7- und Xenonscheinwerfern sind nun auch LED-Scheinwerfer auf dem Markt, die über dynamische Lichteinstellungen wie z.B. das Kurvenlicht und blendreies Fernlicht verfügen, wodurch das Sichtfeld der Fahrer und somit die Erkennbarkeit von Hindernissen auf der Fahrbahn deutlich verbessert werden soll. Der Unfallanalytiker muss diese Veränderungen bei der Analyse von Dunkelheitsunfällen zwingend berücksichtigen.
Die häufigsten Scheinwerfertypen für Abblendlicht an Pkw arbeiten heutzutage mit Halogenlicht. Gerade neuere, hochpreisige Pkw werden zunehmend mit Xenon- oder LED-Licht ausgerüstet. Es wird unter anderem mit einer besseren Grundausleuchtung oder Lichtqualität geworben, was mit mehr Sicherheit im Straßenverkehr gleichgesetzt wird. Typische Dunkelheitsunfälle wurden mit den neuen Lichtsystemen bisher kaum analysiert. In den letzten fünf Jahren (www.dvr.de (2016)) starben pro Jahr im Schnitt rund 550 Fußgänger bei Verkehrsunfällen in Deutschland, davon 23 % bei Nacht. Die lichttechnische Beurteilung der Unfallsituation ist einerseits für die Unfallrekonstruktion und damit für Haftungsfragen von Bedeutung. Andererseits könnten aus einem Fußgängerunfall mit halogenscheinwerferbestücktem Pkw durch eine Alternativbetrachtung mit Xenon- oder LED-bestücktem Pkw Informationen zur Weiterentwicklung von Scheinwerfern gewonnen werden.
Wer „nur“ über ein Fahrzeug mit Halogenscheinwerfern verfügt und dieses aufrüsten möchte, der kann sich verschiedener Internetanbieter bedienen. Neben besonders hellen Glühlampen mit Straßenzulassung werden auch LED-Leuchten mit H7-Fassung angeboten. Es fehlt jedoch eine Beurteilung, ob Objekte bei Benutzung der einzelnen Lampentypen besser erkannt werden können und so dem Autofahrer tatsächlich mehr Zeit zur Reaktion bleibt. Auch gilt es zu klären, ob Fußgänger mit den höherpreisigen Xenon- und LED-Scheinwerfersystemen besser erkannt werden können.
Zur Bestimmung der Erkennbarkeitsentfernung eines Fußgängers ist es zwingend erforderlich eine lichttechnische Untersuchung vor Ort mit einem Vergleichsfahrzeug unter gleichen Witterungsverhältnissen durchzuführen.
Bei Dunkelheitsunfällen mit Fußgängern stellt sich im Allgemeinen die Frage, ob der Fußgänger für den Pkw-Fahrer sichtbar war. Um diese Frage zu klären, wurden in der Vergangenheit häufig Ortstermine an der Unfallstelle durchgeführt. Da sich die Augen während des Wartens auf die Teilnehmer an die Dunkelheit gewöhnten (adaptierten), wurde häufig festgestellt, dass aus der entsprechenden Entfernung der Fußgänger sichtbar sei. Die Sichtverhältnisse eines Autofahrers stellen sich jedoch, unter anderem durch das Scheinwerferlicht des Pkw, anders dar. Daher wird schon seit Jahren eine aussagekräftige lichttechnische Untersuchung durchgeführt. Hierzu wird die Leuchtdichteverteilung des Fußgängers und des Hintergrunds für verschiedene Entfernungen des Pkw zum Fußgänger benötigt. Die Position des Fußgängers folgt aus der Rekonstruktion des Unfalls und dem vorher zu erstellenden Weg-Zeit-Diagramm.
Die lichttechnische Untersuchung wird mit einer kalibrierten Digitalkamera (Nikon D200) durchgeführt. Aufgrund der Kalibrierung kann die Helligkeit der Bildpunkte in eine Leuchtdichte umgerechnet werden . Mit Hilfe der eigens geschriebenen Auswertesoftware „Measure Light“ kann dann für beliebige Bildbereiche am PC die Leuchtdichte bestimmt werden. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass nicht jeder Messpunkt an der Unfallstelle einzeln aufgenommen werden muss, sondern die gesamte Leuchtdichteverteilung in einem Foto aufgenommen wird. Dadurch können die Messzeit vor Ort und die Behinderung durch die Messung minimiert werden.
Zur Beurteilung der Erkennbarkeit eines Fußgängers wird die Leuchtdichtedifferenz des Fußgängers relativ zum Hintergrund gemessen, vergleichbar mit einem Kontrast des Fußgängers vor dem Hintergrund.
Zur Beurteilung der Erkennbarkeit eines Fußgängers wird die Leuchtdichtedifferenz des Fußgängers relativ zum Hintergrund in [cd/m²] gemessen. Die Leuchtdichte ist die Leuchtintensität, die pro Fläche auf das Auge einwirkt. Bei der Auswertung der Sichtbarkeit wird die gemessene Leuchtdichtedifferenz der erforderlichen Schwellenleuchtdichtedifferenz von Berek und Adrian et al. gegenübergestellt. Bei der Schwellenleuchtdichte handelt es sich um die Leuchtdichtedifferenz eines Objekts zu seinem Hintergrund, bei der das Objekt unter Laborbedingungen von einem konzentrierten Beobachter gerade noch erkannt werden kann. In der Realität muss der Seheindruck von sich bewegenden Objekten in kürzester Zeit verarbeitet werden, gleichzeitig wird der Fahrer durch Leuchtquellen in der Umgebung abgelenkt. Durch sogenannte Praxisfaktoren wird dies berücksichtigt.
Gemäß Schmedding et al. können die vor Ort gemessenen Leuchtdichtedifferenzen gegen die Fußgängerentfernung zum Pkw in einem „Soll-Ist“-(SI)-Diagramm dargestellt werden, aus der die erstmalige Erkennbarkeit des Fußgängers für den Pkw-Fahrer abgelesen werden kann. Meist erfolgt die Auswertung der Fußgängererkennbarkeit getrennt für den Oberkörper und die Beine. Die Bekleidung des Fußgängers zum Unfallzeitpunkt spielt daher auch eine große Rolle.
Neben dem Fahrzeugmodell, dem Scheinwerfertyp und der Fußgängerbekleidung sind ebenfalls die Örtlichkeit und die Witterung von besonderer Bedeutung. Durch die örtliche Straßenbeleuchtung und Fahrzeuge im Gegenverkehr können sich sogenannte Glanzstreifen und Tarnzonen bilden. Auch die Reflektivität der Fahrbahn und die Umgebungsleuchtdichte können sich erheblich durch eine beispielsweise nasse Fahrbahn ändern. Insbesondere bei einem Unfallort in einer Kurve oder in der Nähe einer Kuppe ist es unumgänglich die lichttechnische Untersuchung vor Ort durchzuführen, da sich die Blendung durch den Gegenverkehr durch die Straßenführung signifikant erhöhen kann.
Bei Dunkelheitsunfällen handelt es sich nicht immer zwangsläufig um eine Kollision zwischen einem Pkw und einem Fußgänger. Gelegentlich gilt es auch die Erkennbarkeit von abgestellten Fahrzeugen oder Tieren auf der Fahrbahn zu untersuchen, oder die Sicht von Schienenfahrzeugen bei Annäherung an den Unfallort.
Dr. rer. nat. Tim Hoger
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Phys. Annika Kortmann
ö.b.u.v. Sachverständige der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Ing. Joost Wolbers
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Ing. Uwe Golder
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dipl.-Ing. Robert Dietrich
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dr. rer. nat. Jens Bastek
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen
Dr. rer. nat. Steffen Rieger
ö.b.u.v. Sachverständiger der IHK Nord Westfalen